Die Kirchengemeinden Nordrügen und Wiek auf Wittow und Jasmund im Norden der Insel Rügen
„Dort arbeiten und leben, wo andere Urlaub machen.“ Diese Worte hören die Einheimischen von Gästen oft. Dabei schwingt in diesen Worten immer etwas wie Sehnsucht nach diesem schönen Fleckchen Erde mit viel Küste, Wäldern, Wellen, Wogen, Wind und Weite mit. Mitunter kann dieser Spruch auch etwas Erstaunt-Mitleidiges haben, da diese wunderschöne Insellage im Norden Rügens so fern der großen Zentren liege.
Dennoch: „Hier ist gut seyn“ – so unser Altenkirchener Dichterpfarrer Gotthard Ludwig Kosegarten (1758-1818) in einer seiner berühmten Uferpredigten, der von 1792 -1808 in Altenkirchen im Inselnorden lebte und nach dessen Gedichten Franz Schubert im fernen Wien seinen ersten Liederzyklus komponierte. Kosegarten konnte nicht aufhören, die Schönheit Rügens in seinen Dichtungen, Uferpredigten und in Prosa zu besingen.
Rügen – die größte und vielgestaltigste Ostseeinsel, ist eigentlich ein „Archipel“ mit mehreren Inseln, Halbinseln und dem Inselkern. Ganz im Norden, 70 km vom Festland entfernt, befinden sich auf der Halbinsel Wittow und auf dem Jasmund die sechs Kirchen unserer Kirchspiele Nordrügen und Wiek.
„Hier ist gut seyn.“ Das empfanden um 1800 auch die Romantiker und so pilgerten sie auf die Insel und bis zum Kap Arkona, dem „nördlichsten Vorgebirge Deutschlands“: U.a. Philipp Otto Runge oder Caspar David Friedrich, der mit seinem Gemälde „Kreidefelsen auf Rügen“ die Insel weithin berühmt machte. Dichter wie Adalbert Chamisso oder Wilhelm Müller hinterließen literarischen Spuren. Damals war es eine Sensation, als 96 Gäste an einem Tag zum Kap Arkona kamen – heute besuchen ca. 700.000 Menschen jährlich das Kap.
„Hier ist gut seyn.“ Das kann man besonders am Nordstrand westlich des Kaps erleben, dort, wo nur Steilküste, ein mit großen Findlingen übersäter schmaler Strand, Meer, Weite, Luft und Himmel sind. Dort am Nordstrand kann man dem zweiten und dem anfänglichen dritten Schöpfungstag im Wort- und anderem Sinn wirklich nachgehen.
„Ist hier gut sein?“ So fragen sich aber nicht nur Jugendliche im Inselnorden. Viele Menschen sind in den letzten Jahrzehnten von der Insel der Arbeit, dem Studium oder der Ausbildung in den großen Zentren nachgezogen und kehren wegen der Arbeitssituation nicht wieder zurück. Auch kirchlich macht sich dieser „Inselcharakter“ auf Wittow potenziert bemerkbar, wenn z.B. von den ohnehin wenigen Konfirmanden keine oder nur ganz wenige auf der Insel bleiben oder wenn kaum junge Familien in den Inselnorden ziehen. Vielleicht bemerkt man deshalb und wegen der „fernen“ Insellage oft einen nüchtern-freundlichen und mitunter auch trotzigen Zusammenhalt, wenngleich den „Wittowschen“ und den Rügenern ohnehin ein besonderes Selbstbewusstsein nachgesagt wird. Hans Fallada hat diese Mentalitäten in seinem Wittow-Roman „Wir hatten mal ein Kind“, wunderbar geschildert. Wittower Charaktere trifft man heute immer wieder und könnten andere Geschichten erzählt werden.
„Wann ist hier gut seyn?“ Sicher auch immer dann, wenn etwas gemeinsam in oder mit den Kirchengemeinden auf die Beine gestellt werden kann – und das geschieht häufig. Die Kirchengemeinden auf Wittow und Jasmund, mit einer Ausdehnung von über 45 km, sind in mehrfacher Hinsicht auch immer wieder „Leuchttürme“ oder „Häfen“. Einmal für die Kirchenmitglieder, wobei wir im Inselnorden nur eine Kirchenmitgliedschaft von ca. 12% haben. So gehört z. B. zum Gemeindegebiet auch ein Ort, in dem hauptsächlich Offiziere der NVA-Flottille der DDR mit ihren Familien lebten und der in den letzten 25 Jahren von 4.000 auf 1.200 Einwohnern „geschrumpft“ ist. Dabei sind soziale Auswirkungen und dem einhergehend auch kirchliche bis heute stark zu spüren. Dennoch findet im großen Gemeindegebiet vieles, auch mit viel ehrenamtlicher Arbeit statt: von Kinderkreisen, Einstudieren und Aufführen von Kindermusicals, Konfirmandenarbeit, über Bibelgesprächskreis, Handarbeitscafé, Büchercafé, Seniorenkreise, Gesprächsabenden, Kirchenkino, Kirch- und Dorffesten, ein- und mehrtägigen Gemeindefahrten und vieles andere mehr bis Kirchenchor und Posaunenchor. Wichtig ist uns immer die Zusammenarbeit mit kommunalen Einrichtungen und Schulen und anderen Initiativen. Zwar begegnet uns gegenüber Kirche und christlichem Glauben meist eine freundliche Gleichgültigkeit, dennoch möchten etliche Menschen gern etwas über die eigenen Grenzen hinaus gemeinsam tun, wie z.B. beim Lebendigen Adventkalender; dabei sind die Kirchengemeinden wichtige Partner und auch Ideengeber. Und – zum Glück sind postsozialistische und andere Animositäten mittlerweile nicht nur vom auf Wittow (Windland) ständig wehenden Wind fast verweht.
„Hier ist gut seyn.“ Im Sommer wird der Inselcharakter noch einmal anders bewusst und bedeutsam, wenn ein „Meer“ von Urlaubern von Mai bis Oktober die Insel „bestürmt“ und „überschwemmt“. Für uns als Kirchengemeinden findet sich dann die „zweite“ Gemeinde mit den Urlaubern ein, von denen viele regelmäßig jedes Jahr den Inselnorden und die Kirchen aufsuchen. Dann sind im Sommer die Hauptgottesdienste mit 150 Besuchern für dörfliche Verhältnisse übermäßig gut besucht. Neben den Gottesdiensten, die wir vielfältig auch als ökumenische Ufergottesdienste, Hafen-, Bodden-, Park- oder Gottesdienste auf dem Schiff feiern, zieht der „Kirchen- und Musiksommer Nordrügen“ als wichtiger Leuchtturm mit über 60 Konzerten, Lesungen, Vorträgen, Ausstellungen und Filmabenden Urlauber und Einheimische an. Diese Veranstaltungen stehen immer unter einem oder mehreren Jahresthemen, womit auch immer wieder das Verhältnis zwischen Kirche und Kultur und Gesellschaft bestimmt wird. So waren auch die Bundeskanzlerin oder der Bundespräsident zu Gast und sprachen über das Verhältnis zwischen christlichem Glauben und politische Verantwortung. Die Kirchengemeinden auf Rügen sind größter und (fast) einziger nichtkommerzieller „Kulturträger“. Mit dieser Arbeit knüpfen wir an eine gewachsene kirchliche Tradition aus DDR-Zeiten an, als Kirchengemeinden an der Küste auch eine „kulturelle Stellvertreterrolle“ übernahmen. Auch heute weist Rügen mit Usedom und dem Darß sicherlich eine der größten Konzert- und Veranstaltungsdichten Deutschlands auf.
Seit 10 Jahren ist in Altenkirchen der Israelsonntag wichtig. Dann predigt der Landesrabbiner von M-V Dr. Wolff oder andere Rabbiner. Ebenso die interreligiösen Veranstaltungen um den Israelsonntag, auch mit einem besonderen Blick auf den christlich-islamischen Dialog mit Referenten wie Prof. Milad Karimi oder Ayatollah Ghaemmaghami sowie mit Ausstellungen, islamischer Musik oder mit Derwischtanz. Im Urlaub kann man sich Zeit nehmen, Anderes und Neues kennenzulernen. So ist der „Kirchensommer“ auch immer eine gute Chance, den Blick mit mehr Zeit zu erweitern und dabei auch zu merken: Hier im Inselnorden „ist gut seyn“, auch mit Muslimen und Juden. Das zeigte sich auch in der Arbeit unserer Kirchengemeinden mit vielen anderen Ehrenamtlichen aus den Dörfern während der Flüchtlingskrise, als ca. 150 Syrer und einige Ukrainer 2015/2016 auf Wittow wohnten.
„Hier ist gut seyn“ für Fremde, Gäste und Einheimische – und wo könnte man auch das Versprechen „Gott will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ (Offb. 21, 6) elementarer erleben, als auf einer Insel mit ihren Schönheiten und verschiedenen Lebenswirklichkeiten?
Lassen Sie sich herzlich in unsere Kirchen und zu unseren Gottesdiensten und Veranstaltungen einladen!